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ADHS im Studium. So gelingt das berufsbegleitende Psychologiestudium trotz Chaos im Kopf.

Ein Studium erfordert ein hohes Maß an Konzentration und Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum hinweg. Genau diese Dinge sind für Menschen mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivität)-Syndrom (ADHS) jedoch besonders schwierig. Für Personen mit ADHS ist es oft nicht einfach, sich selbst zu organisieren und die Motivation für eine Sache aufrecht zu halten. Ein Fernstudium kann in diesem Fall Segen und Fluch zugleich sein. Zwar erfordert es definitiv mehr Disziplin als ein Studium an einer Präsenzuniversität. Gleichzeitig ist es möglich, Pausen nach Bedarf einzulegen und sich die Lernzeit selbst flexibler einzuteilen.  In diesem Artikel erfährst du, was ADHS ist, wie sich ADHS im Studium äußert und was du tun kannst, wenn du selbst betroffen bist.

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ADHS: Was ist das eigentlich?

ADHS gilt als eine neurologische Entwicklungsstörung, die durch Aufmerksamkeitsprobleme, Impulsivität und in vielen Fällen Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Fehlt die Hyperaktivität, spricht man eher von ADS. ADHS bzw. ADS beginnt in der Regel in der Kindheit, kann jedoch auch im Erwachsenenalter fortbestehen. Die genauen Ursachen sind nicht vollständig geklärt. Man geht davon aus, dass genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Auch neurobiologische Veränderungen im Gehirn, wie eine veränderte Signalübertragung durch die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin, tragen zur Entstehung bei. Umweltfaktoren wie Stress in der frühen Kindheit können ADHS-Symptome verstärken. Vor allem bei Frauen wird ADHS oft nicht in der Kindheit erkannt, da betroffene Mädchen seltener das typische impulsive und hyperaktive Verhalten zeigen und stattdessen eher unkonzentriert sind und verträumt wirken. Oftmals haben sie dann bis ins Erwachsenenalter hinein das Gefühl, mit ihnen würde „etwas nicht stimmen“. Auch eine späte Diagnosestellung durch geschulte Fachpersonen kann daher große Erleichterung bringen. Auch wenn ADHS als Störung gilt, die – zumindest teilweise – lebenslang bestehen bleibt, ist es möglich, einen Umgang damit zu lernen und ein weitestgehend unbeeinträchtigtes Leben zu führen.

Warum kann ADHS das Studium beeinträchtigen?

Ein Begriff, der im Zusammenhang mit ADHS öfter fällt, ist der der exekutiven Dysfunktion. Mit exekutiven Funktionen sind jene psychischen Funktionen gemeint, die Personen im Alltag dabei helfen, ihr Verhalten an verschiedene Situationen angemessen anzupassen. Im Kontext des Studiums betrifft dies insbesondere Situationen, in denen beispielsweise die Erledigung von Aufgaben geplant werden muss. Also unter anderem beim Einteilen von Lernstoff oder bei der Organisation der Prüfungsphase. Personen mit ADHS haben häufig große Schwierigkeiten damit, überhaupt mit etwas anzufangen und prokrastinieren stattdessen. Dies führt schnell dazu, dass Deadlines nicht eingehalten werden oder Aufgaben nicht fristgerecht eingereicht werden. In der Folge gehen Menschen, die von ADHS betroffen sind – insbesondere dann, wenn sie dies selbst noch nicht für sich erkannt haben – meist sehr hart mit sich ins Gericht. Sie haben den Eindruck, ihr eigenes Potential nicht ausleben zu können, fühlen sich teilweise dumm und schuldig dafür, wenn etwas misslingt. Die eigenen Erfolge hingegen werden oftmals nicht als solche erkannt und wertgeschätzt.

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Das Prokrastinieren bei ADHS rührt oftmals aus der Schwierigkeit her, Prioritäten zu setzen. Man verliert sich dann in allen möglichen Alltagsaufgaben und verliert darüber hinaus möglicherweise aus den Augen, dass die Bachelorarbeit dringend fertig geschrieben werden muss oder eine wichtige Klausur ansteht.

Außerdem fällt es Betroffenen oft schwer, sich in Vorlesungen oder Seminaren über einen längeren Zeitraum hinweg zu konzentrieren. Gibt es dann keine begleitenden Skripte oder Literatur, anhand derer der Lernstoff zuhause nachgearbeitet werden kann, ist das Bestehen der Klausur nicht einfach. Ein Fernstudium kann daher eine gute Alternative sein – vor allem, wenn die Universität Vorlesungen als Videos bereitstellt. Diese kann man sich gegebenenfalls immer wieder anschauen und zwischendurch Pausen einlegen, wenn die Konzentration abhandengekommen ist.

Gibt es Unterstützungsangebote für Studierende mit ADHS?

Betroffene können versuchen, das ADHS als Teilleistungsstörung oder Behinderung anerkennen zu lassen. Ist das der Fall, ist es möglich, einen Nachteilsausgleich zu beantragen. Der Nachteilsausgleich ermöglicht beispielsweise, für Hausarbeiten oder Klausuren mehr Zeit zur Bearbeitung zu erhalten oder öfter in Seminaren zu fehlen. An manchen Universitäten kann man auch in gesonderten Räumen schreiben, in denen weniger Ablenkungen vorhanden sind, sodass es leichter fällt, sich zu konzentrieren. Für den Nachteilsausgleich ist jedoch in der Regel ein ärztliches Attest als Nachweis erforderlich, muss also eine offizielle Diagnose gestellt worden sein.

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Andere mögliche Anlaufstellen sind psychologische Beratungsangebote und Selbsthilfegruppen. Viele Studentenwerke bieten eine psychologische Beratung an, an die man sich bei Sorgen und Problemen wenden kann. Gegebenenfalls können die dort arbeitenden Psycholog/innen und Psychotherapeut/innen auch dabei helfen, einen Therapieplatz zu finden oder eine Verdachtsdiagnose zu bestätigen. Mitunter können sie auch an Gruppenangebote vermitteln, bei denen man beispielsweise dabei unterstützt wird, sich selbst zu organisieren oder weniger zu prokrastinieren. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist hilfreich, um sich weniger allein zu fühlen und hilfreiche Strategien auszutauschen.

Lerntipps und Strategien

Die mentalen Besonderheiten, mit denen Personen mit ADHS zu tun haben, können das Studieren deutlich erschweren. Mit den richtigen Strategien kann man jedoch viel erreichen. Einige davon möchte ich dir kurz erläutern:

1. Ein interessantes Studienfach wählen

Wenn das ausgesuchte Studienfach nicht spannend ist, dann ist das Studium auch für „neurotypische“ Personen meist zäh und schwierig durchzuhalten. Menschen mit ADHS jedoch erleben das Lernen uninteressanter Inhalte teilweise fast wie Folter. Für sie ist es besonders schwierig, ein Fach nur aus „Vernunftgründen“ zu studieren. Ein spannendes und abwechslungsreiches Studium kann helfen, die Motivation zu behalten.

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2. Lernumgebungen ohne Störfaktoren

Personen mit ADHS haben oft das Problem, dass sie sehr schnell ablenkbar sind. Sie beginnen mit dem Schreiben einer Hausarbeit, wollen kurz etwas im Internet recherchieren und plötzlich ertappen sie sich dabei, wie sie stundenlang irgendwelche Videos auf Youtube angeschaut haben. Umso wichtiger ist es daher, sich eine Lernumgebung zu schaffen, in der man durch möglichst wenig äußere Reize abgelenkt werden kann:

  • Lernen in der Bibliothek statt zuhause
  • Smartphone nicht mitnehmen oder ausschalten (hilfreich kann hier auch die App „Forest“ sein, die ich im Artikel über hilfreiche Tools bereits vorgestellt habe)
  • Website-Blocker auf dem Notebook installieren, sodass man nicht dazu verleitet wird, etwas anderes zu machen als das, was man sich vorgenommen hat

3. Tagesstruktur schaffen

Für Personen mit ADHS ist es oft sehr hilfreich, eine feste Struktur von Essens- und Schlafenszeiten zu etablieren. Gerade dies fällt ihnen jedoch besonders schwer. Es hilft ihnen daher oft, sich einen kleinschrittigen Plan für den Tag, beziehungsweise bestimmte Tagesabschnitte, zu überlegen. Vielleicht hilft mein Artikel zum idealen Lerntag dabei weiter. Damit man sich dabei nicht im Prokrastinieren oder in Ablenkungen verliert, macht es Sinn, sich für jeden einzelnen Abschnitt einen Timer zu stellen und – sobald dieser abgelaufen ist – zum nächsten Tagespunkt überzugehen. Versuche außerdem, deinen Tag mit festen Morgen- und Abendroutinen zu planen. So musst du dich nicht jeden Tag neu motivieren, um die Dinge umzusetzen, die Teil deiner Routine sind.

4. Kopf freibekommen

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Menschen mit ADHS erleben ihre Gedanken oft als sprunghaft und teilweise ermüdend. Sie haben permanent das Gefühl, zu viel im Kopf zu haben und können schlecht zur Ruhe kommen. Umso wichtiger ist es, einen Ausgleich zum Studieren zu finden und es zu schaffen, den Kopf freizubekommen. Eine Möglichkeit könnte es zum Beispiel sein, sich so richtig beim Sport auszupowern. Finde dafür eine Sportart, die dir Spaß macht (vielleicht auch etwas Action bringt), dich packt und die dich motiviert, dich regelmäßig zu bewegen. Wenn du dazu neigst, eher sprunghaft in deinen Interessen zu sein, dann kannst du dir das gern erlauben. Wechsele deine sportlichen Interessen nach Lust und Laune – Hauptsache, du kommst in Bewegung. Eine weitere Idee ist es, dass du es dir zur Routine machst, jeden Tag für einige Minuten deine Gedanken herunterzuschreiben. Vielleicht hilft dir mein Artikel zum Thema Journaling dabei, ein paar Anregungen zu bekommen. Besonders geeignet ist die Stream-of-Consciousness-Übung. Dabei schreibst du für ein paar Minuten alles auf, was dir einfällt. Diese Übung führt dazu, dass du deine Gedanken aus deinem Kopf auf Papier bekommst und dich innerlich klarer und geordneter fühlst.

5. No-Show-Days einplanen

Dies gilt eigentlich für alle Studierenden – für Personen mit besonderen Herausforderungen jedoch im Besonderen. Achte darauf, dir deinen Zeitplan nicht zu eng zu takten. Schau, dass du immer auch Pausentage und genügend Freizeit hast. Plane dir ausreichend Puffer ein, um auch einmal einen ganzen Tag lang nichts zu machen und nicht in Verzug kommst, wenn du Tage hast, an denen das Studieren einfach nicht gut klappt. Damit vermeidest du Demotivation, wenn das Lernen einmal – aus welchen Gründen auch immer – nicht funktioniert hat.

Studieren mit ADHS – kein Ding der Unmöglichkeit!

Wenn du von ADHS betroffen bist oder dies bei dir vermutest, dann verzage nicht! Als Erstes tut es sicher gut, zu wissen, dass du nicht allein bist. Es kann eine ungemeine Erleichterung sein, wenn du verstehst, dass du nicht faul oder „falsch“ bist. Dein Gehirn funktioniert einfach anders als das der Mehrheit und das ist in Ordnung. Damit einher gehen sicherlich viele Stärken – vielleicht bist du besonders kreativ oder hast viele spannende Hobbies und Interessen. Natürlich gibt es Menschen, die so stark betroffen sind, dass Studieren kaum möglich ist. In diesem Fall ist es mitunter sinnvoll, Medikamente auszuprobieren, die die Neurotransmitter im Gehirn regulieren. Ritalin ist eines der Bekanntesten. Andernfalls werden dir aber die passenden Strategien und Techniken helfen, den Studienalltag besser zu bewältigen. Lerne dabei, nachgiebig mit dir zu sein, wenn etwas nicht so funktioniert hat, wie du es dir erhofft hast. Zögere nicht, Hilfe anzunehmen in Form von Psychotherapie, Coachings oder Selbsthilfegruppen. Auch die Vernetzung mit anderen Menschen mit ADHS kann eine wertvolle und heilsame Erfahrung sein. Vielleicht gibt es an deiner Universität oder in deiner Stadt sogar passende Gruppen und Angebote. Du bist nicht allein!

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