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Psychologiestudium trotz psychischer Erkrankung – Herausforderungen, Hilfsangebote und Chancen

Das Klischee, dass Psychologen und Psychologinnen eigentlich alle selbst „einen an der Waffel“ haben, ist weit verbreitet. Tatsächlich habe ich mittlerweile – nach ein paar Jahren Studium – das Gefühl, dass sich hier wirklich besonders viele Menschen aufhalten, die selbst bereits eine Therapie gemacht haben oder sich in Therapie befinden. Auf der anderen Seite könnte man natürlich sagen: Würde es nicht fast jedem Menschen einmal guttun, sich intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen? Denkbar wäre sicherlich, dass angehende Psychologen und Psychologinnen einfach eher zu den reflektierteren Zeitgenossen gehören und grundsätzlich ein positiveres Verhältnis zur Psychotherapie haben als der Durchschnitt der Gesellschaft. Doch wie sieht es aus, wenn man selbst gerade akut in einer psychischen Krise steckt? Wenn man akute psychische Probleme oder eine diagnostizierte psychische Erkrankung hat – kann man dann das Psychologiestudium trotz psychischer Erkrankung meistern?

Darf ein Arzt krank werden?

Jeder Mensch besitzt eine Psyche – ebenso wie jeder Mensch auch einen Körper besitzt. So, wie unser Körper krank werden kann, kann es natürlich auch die Psyche treffen. Eine psychische Erkrankung kann jeden Treffen und macht vor keinem Alter, keinem Bildungsstand und keiner sozialen Zugehörigkeit halt. Aber einmal anders gedacht: Wenn ein Arzt, der sich um die körperliche Gesundheit seiner Patienten kümmert, plötzlich krank wird – macht ihn das dann zu einem schlechteren Arzt? Ein Arzt, der beispielsweise selbst Diabetes hat, wird vermutlich einfühlsamer, verständnisvoller und möglicherweise sogar kompetenter mit Patienten umgehen können, die unter der gleichen Krankheit leiden. Niemand würde auf die Idee kommen, einen Medizin-Studenten deshalb vom Studium auszuschließen, weil er eine chronische Erkrankung hat. Warum sollte das in Bezug auf die Psyche anders sein?

Man Wearing Blue Scrub Suit and Mask Sitting on Bench

Studieren mit gesundheitlichen Einschränkungen

Auf der anderen Seite kann jemand, der akut erkrankt ist – egal ob an Körper oder Psyche – Probleme damit haben, ein Studium abzuschließen. Jemand, der im Rollstuhl sitzt, wird Schwierigkeiten damit haben, in Uni-Gebäude zu kommen, die nicht barrierefrei sind. Ebenso wird es einer Person, die unter schweren Depressionen leidet, mitunter nicht möglich sein, aus dem Bett aufzustehen, um zur Vorlesung zu gehen. Die Frage ist also nicht, ob man mit grundsätzlich mit einer psychischen Erkrankung studieren kann oder nicht. Vielmehr geht es darum, wie stark man betroffen ist und wie sehr man durch die Erkrankung im Alltag und im Studium eingeschränkt ist.

Kann eine psychische Erkrankung im Psychologiestudium auch von Vorteil sein?

Man könnte meinen, dass man, wenn man sich viel mit der eigenen psychischen Erkrankung auseinandergesetzt hat, auch ein gutes Verständnis für die Probleme anderer Menschen hat. Vielleicht fällt einem das Lernen sogar in manchen Bereichen leichter? An dieser Stelle sei gesagt, dass das Studium keinesfalls als Selbsttherapie genutzt werden sollte. Zum einen handelt es sich bei dem klassischen Psychologiestudium um ein wissenschaftliches Studium. Insbesondere Methodenlehre und Statistik werden einen großen Teil davon einnehmen. Neben Entwicklungspsychologie, Wahrnehmungspsychologie und pädagogischer Psychologie ist die klinische Psychologie in der Regel nur ein Fach von vielen. Der Nutzen, den man aus seiner eigenen Erfahrung ziehen kann, ist im Studium daher eher vernachlässigbar. Darüber hinaus lernt man hauptsächlich die Kriterien bestimmter psychischer Erkrankungen im DSM und ICD – Psychotherapie spielt fast keine Rolle. Wer nach dem Studium die Psychotherapie-Ausbildung machen möchte, könnte möglicherweise von den eigenen Erfahrungen profitieren, da man bereits weiß, wie es ist, eine Therapie zu machen und wie das Gesundheitssystem diesbezüglich funktioniert. Ob diese Vorteile die Beeinträchtigungen aufwiegen, die mit psychischen Erkrankungen einhergehen, ist jedoch fraglich. Wenn du also unter einer psychischen Erkrankung leidest, es dir nicht gutgeht oder du vermutest, tieferliegende Probleme mit dir herumzutragen, dann suche dir bitte professionelle Unterstützung. Das Psychologie-Studium ist sicherlich spannend, doch eine Therapie kann es nicht ersetzen.

Person in Black Pants and Black Shoes Sitting on Brown Wooden Chair

Wie kann das Psychologiestudium trotz psychischer Erkrankung gelingen?

Das Psychologiestudium ist nicht ohne – vor allem, wenn man neben der Arbeit studiert. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht schaffbar ist – auch dann nicht, wenn man es möglicherweise schwerer hat als die Kommilitonen und Kommilitoninnen.

Tatsächlich sind psychische Probleme unter Studierenden keine Seltenheit – das gilt keineswegs nur für das Fach Psychologie. Leistungsdruck, finanzielle Sorgen, Versagensängste und Stress machen das Studium nicht unbedingt einfacher. Hinzu kommt, dass psychische Erkrankungen sich oftmals im jungen Erwachsenenalter erstmalig manifestieren. Auch die Corona-Pandemie hat ihren Teil dazu beigetragen. Laut der „Studierendenbefragung in Deutschhland: best3 – gesundheitlicher Beeinträchtigung“ waren im Jahr 2021 16 Prozent aller Studierender von einer Einschränkung betroffen. Ganze 65 Prozent davon entfielen auf psychische Erkrankungen. Man kann davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher ist. Was kann man also tun, um das Studium dennoch erfolgreich zu absolvieren?

Regelstudienzeit ist nicht die Regel!

Leider ist es immer noch so, dass viele Menschen sich dafür schämen, ein Studium nicht in Regelstudienzeit abzuschließen. Dabei ist es immer häufiger so, dass diese Vorgaben nicht schaffbar sind. Dies liegt auch unter anderem daran, dass viele Studierende mittlerweile neben dem Studium arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch Studierende mit gesundheitlichen Einschränkungen müssen ihr Studium signifikant häufiger unterbrechen und / oder kommen insgesamt langsamer voran. Das ist jedoch keinesfalls etwas, wofür man sich schämen muss! An vielen Universitäten ist auch ein Teilzeitstudium möglich. Vielleicht ist auch ein Fernstudium für dich die richtige Wahl, beispielsweise an der Fernuni Hagen. Oft geht es auch, sich den Stundenplan flexibel zu gestalten und weniger als die empfohlenen Studienpunkte pro Semester zu absolvieren. Mitunter ist es auch möglich, aufgrund der Erkrankung – sofern sie diagnostiziert wurde – noch über die Regelstudienzeit hinaus von BAföG gefördert zu werden. Schäme dich also nicht dafür, dir den Studienverlauf so zu gestalten, wie er zu dir passt. Das ist keine Schwäche, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, dass du für dich einstehst.

Man Raising His Right Arm

Alternativen zur Anwesenheitspflicht suchen

Grundsätzlich gibt es an den meisten Universitäten keine Anwesenheitspflicht. Allerdings kann es sein, dass manche Lehrveranstaltungen eine Anwesenheit als Voraussetzung zur Zulassung zur Prüfung festlegen. Es gibt jedoch oftmals die Möglichkeit, einen Antrag auf Ausnahmeregelungen zu stellen, wenn Studierende häufiger als erlaubt aufgrund chronischer Erkrankungen nicht teilnehmen können. Darüber hinaus hilft es oftmals, das Gespräch mit den Lehrpersonen zu suchen, um die eigene Situation klarzumachen. Möglicherweise gibt es andere Lösungen – beispielsweise Hybridveranstaltungen, die online mitgestreamt werden können, für Studierende, die Krankheitsängste oder soziale Phobien haben, wegen denen sie nur sehr schwer den Campus erreichen können.

Nachteilsausgleich beantragen

Vielen Betroffenen ist nicht klar, dass ein Nachteilsausgleich auch bei psychischen Erkrankungen oder beim Studium mit Neurodivergenz gewährt werden kann. Dieser Ausgleich ist oft individuell geregelt und kann für verschiedene Aspekte des Studiums sinnvoll sein. So ist es möglich, beispielsweise eine flexiblere Prüfungsgestaltung (mehr Zeit zum Schreiben, andere Prüfungsleistungen), weniger feste Präsenztermine oder die Möglichkeit, einfacher von Klausuren und Prüfungen zurückzutreten, durchzusetzen.

Psychosoziale Beratung

Einen Therapieplatz zu bekommen, ist häufig nicht so einfach und braucht seine Zeit. In den meisten Bundesländern kann man mit Wartezeiten zwischen drei und sechs Monaten rechnen, manchmal sogar noch länger. Viele Universitäten und Hochschulen bieten jedoch auch niedrigschwellige Beratungsangebote an. Dort ist es meist zwar nicht möglich, eine längere Therapie in Anspruch zu nehmen – dafür jedoch zumindest ein paar Termine in Folge, die dabei helfen können, sich zu sortieren und das weitere Vorgehen mit jemandem zu besprechen. Auch Workshops zu den Themen Prüfungsängsten, Prokrastination und Zeitmanagement werden häufig angeboten. In akuten Krisen helfen telefonische Krisenhotlines weiter, die es in den meisten Städten gibt. Wer sich seine Sorgen einfach einmal von der Seele reden möchte, der kann sich auch an die Telefonseelsorge (0800 111 0 111 / 0800 111 0 222) oder die „Nummer gegen Kummer“ (116 111) wenden.

Wenn du weitere Informationen suchst und mehr darüber erfahren möchtest, an wen du dich wenden kannst, bietet die Seite „Studieren mit einer psychischen Erkrankung“ viele wertvolle weiterführende Informationen.

Woman Wearing Blue Jacket Sitting on Chair Near Table Reading Books

Fazit: Auch mit psychischen Erkrankungen ist das Studium möglich

Wenn es dir psychisch nicht gut geht, dann ist es wichtig, dass du dir professionelle Hilfe suchst. Ein Ausschlusskriterium für ein Psychologiestudium ist es jedoch in keinem Fall! Viele Menschen, die ihre psychischen Probleme überwunden oder einen guten Umgang damit gefunden haben, spüren später das Bedürfnis, anderen zu helfen. Auch einer Therapeutenausbildung steht die Erkrankung also nicht unbedingt im Wege. Relevant ist vor allem, dass du lernst, gut mit dir umzugehen und Strategien für dich findest, die dich im Leben stabilisieren. Wer sich selbst schon einmal tief in die Seele geschaut hat, kann mitunter die Schwierigkeiten und Probleme seiner Mitmenschen besser nachvollziehen und empathischer mit ihnen umgehen. Wenn du mit einer psychischen Erkrankung lebst, dann kann es möglich sein, dass du immer ein wenig schneller aus der Balance gerätst als deine Mitmenschen und besonders gut auf dich achtgeben musst. Gelingt es dir jedoch, gut damit umzugehen und auf dich zu achten, steht einem Psychologiestudium und deinem angestrebten Berufsziel nichts im Wege!

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